Wieder alleine unterwegs…!

Am Mittwoch den 19. April habe ich Raymonde zusammen mit Chico zum Flughafen nach Barcelona gefahren. Sie wird zurück nach Luxemburg fliegen um dort noch einige Dinge zu erledigen. Aber der Hauptgrund ist unser kleiner Scheisser, der partout nicht auf dem Boot kacken möchte.

Da ich kein Herz für solche Dinge habe, würde ich es einfach darauf ankommen lassen, irgendwann wäre der Druck bei dem Hund so hoch, dass irgendwo etwas heraus kommen würde. Meine Frau aber ist in diesen Dingen weich wie Pudding in der Milch. Deshalb fliegt sie zurück nach Luxemburg und kommt dann 2 Wochen später wieder mit dem Flugzeug nach Sardinien.

Verrückt was der Mensch auf sich nimmt damit es dem Tier an nichts fehlt… 🤷‍♂️

Deshalb, wie der Titel schon verrät, mache ich mich wieder einmal allein auf den Weg. Es stört mich auch nicht weiter, irgendwie bin ich doch tief in mir ein Einsiedlerkrebs, der manchmal sehr gerne alleine ist.

Nun war ich also zurück vom Flughafen Barcelona wieder in der Marina Sant Carles de la Rapita angekommen und studierte die Wettervorhersagen und verglich zwei verschiedene Wettermodelle. Eigentlich waren die Bedingungen recht gut und so entschloss ich mich dazu gleich am folgenden Tag, an dem ich den Mietwagen wieder abgeben sollte, die Leinen endgültig vom Poller zu lösen. Noch ein kurzer Check auf der Webseite vom Vermieter, ab wann dessen Büro wieder geöffnet ist und dann stand mein Plan fest.

Am folgenden Tag stand ich um Punkt 9:00 vor dem besagten Büro und habe das Auto wieder abgegeben. Dann ging es im schnellen Tempo zur Busstation…, eine gute halbe Stunde brauche ich bis dahin. Als ich dann dort angekommen war, musste ich leider feststellen, dass der Bus bereits weg war und ich neben der 45 minütigen Busfahrt auch noch 45 Minuten auf den nächsten warten konnte. Blöder Start dachte ich mir schon irgendwie. Nun gut, ändern konnte ich es nicht und nahm es gelassen hin.

Als ich dann doch endlich wieder in La Rapita ankam ging es wieder recht zügig zu Hafen. Es war schon 11:30 und ich hatte noch einige Dinge zu erledigen, wie die Magnetkarten vom Hafengelände abgeben, mich bei den neu gewonnenen Bekannten verabschieden und das Boot soweit klar machen.

Doch Pustekuchen… Da kommt die freundliche Frau Mariniero mit einem riesigen, Benzin betriebenem Hochdruckreiniger den Steg entlang und grüsst recht beschwingt. Ich ahnte Böses, und kurze Zeit später knatterte das Ding los. Das Gerät stand ein paar Meter versetzt vom Boot, und der lange Schlauch reichte bis zum Stegende. Der Wind stand gut für meine Abfahrt, aber zu diesem Zeitpunkt ziemlich ungünstig. Die ganzen Abgase fanden ihren Weg ins Boot. Doch damit nicht genug, nein. Am Tag zuvor hatte ich noch 3 Stunden die ADESSO von seinem Staub befreit, das Deck gewischt und die Fenster geputzt. Diese Arbeit wäre alles umsonst, wenn die Gute erst mit dem Reiniger in meine Nähe kommen würde. Darauf hatte ich absolut keine Lust. 

Fertig vorbereitet für die Abfahrt war ich noch nicht, hatte nichts im Magen und, und, und.

Also entgegen allem was man so in den Lehrbücher liest, habe ich kurzerhand die Motoren gestartet, die Leinen gelöst und machte mich weg vom Steg. Schade, denn gerne hätte ich noch mit der einen oder anderen Bootscrew kurz geplaudert!

Auf jeden Fall war ich jetzt unterwegs, genau um 12:00. Das Boot glich einer Rumpelkammer, alle Leinen hatte ich einfach hineingeworfen, das Stromkabel lag noch drunter und der Wischmopp lag auch noch an Deck… Als ich aus dem Hafen raus war, aktivierte ich den Autopilot und schob das ganze Gedöns mal mit den Füssen zusammen, brachte den Mopp in Sicherheit und band die Fender los, dabei immer wieder ein Blick noch vorne ob der Kurs passt und ob keine Fischernetze und die dazugehörigen Fischer im Weg sind. Da ich jetzt für 2 Meilen gegen den Wind unterwegs war um hinter dem Ebrodelta nach links abzubiegen, entschloss ich mich auch noch das Grossegel zu setzen… natürlich nichts vorbereitet. Aber die Griffe sitzen und kurz danach konnte ich mich mal am Steuertand hinsetzen und ein paar Minuten durchschnaufen.

Holpriger Start dachte ich so vor mich hin und schrieb Raymonde eine SMS, dass ich auf dem Weg nach Sardinien wäre. Die wiederum fiel aus allen Wolken und hatte nur noch Fragen an mich. Fragen, für die ich aber zu dem Zeitpunkt keine Zeit hatte, denn eine ganze Armada an Fischerbooten war auf dem Weg zurück in den Hafen und am Kartenplotter blinkten die Bootssymbole warnend auf mich ein. Alle auf direktem Kollisionskurs. Nach kurzer Absprache mit meinem Gewissen entschied ich nicht auszuweichen! Das Grossegel stand in seiner ganzen Pracht und müsste von jedem Fischer gesehen werden. Dass ein Motor mitläuft weiss ja niemand. Also habe ich mir alle Vorfahrtsrechte ergaunert, denn ein Segelboot unter Segel hat Vorrecht vor einem mit Motor betriebenem Boot. Alle spielten dieses Spiel auch brav mit und einer nach dem anderen korrigierte seinen Kurs. Derweil griff ich mir mal einen Keks und beantwortete die gefühlten 100 Fragen meiner Frau. 

Als ich dann nach einer Stunde endlich aus dem Ebrodelta raus war und meinen Kurs Richtung Sardinen nahm, passte auch die Windrichtung und ich rollte das Vorsegel heraus. Unter Vollzeug preschte die ADESSO los, als wolle sie mir mitteilen: Endlich, endlich hast du mich von dem blöden Steg mit dem trüben Wasser befreit. Mit bis zu 8 Knoten Fahrt und keiner Welle rauschte die ADESSO mit mir dahin. Ich wagte sogar zu rechnen wie lange ich bei dieser Geschwindigkeit wohl unterwegs sei. Schüttelte dann aber vor mir selbst den Kopf, wohl wissend, dass eine Wettervorhersage für einen Zeitraum von 3-4 Tagen genauso gut auch von einer Kartenlegerin auf dem Jahrmarkt erstellt werden kann.

Aber egal, ich lehnte mich im Salon an die Bank und genoss die Show, welche ein paar Stunden anhielt. 

Die Vorhersagen waren einfach zu gut um zu stimmen. Ich hätte 3 Tage einen Idealwind… 100°. Mit dem Fahrtwind einbezogen würde ich 3 Tage auf Halbwind über das Mittelmeerrauschen. Idealbedingungen für einen Katamaran! 

Dann, entgegen der Vorhersage (was für eine Überraschung) drehte der Wind nicht weiter nach Achtern, sondern nach vorne! Folglich wurden aus meinen 100° ein „am Wind“ Kurs von 50°, und die Wellen folgten natürlich der Windrichtung. Nur gut dass die Kapitania nicht an Bord war, denn das ist der Kurs, bei dem Sie in Ihr Drogenkästchen greift und im Dämmerschlaf vor sich hin vegetiert.

ADESSO fing an in den Wellen zu bocken und es wurde Zeit das 1. Reff einzubinden. Kurze Zeit später entschloss ich mich dazu noch weiter die Segelfläche zu verkleinern. Erstens hatte ich ein komisches Gefühl und eine ungeschriebene Regel auf einem Segelboot besagt: „wenn du dran denkst zu Reffen, dann tu es!“. Und zweitens bin ich in der Nacht immer sehr konservativ unterwegs und nehme in Kauf etwas langsamer zu sein, als in dunkler Nacht bei zu viel Tuch alleine auf dem Dach zu turnen.

Und ich behielt Recht, der Wind frischte weiter auf, der Windwinkel war aber noch gut segelbar und das Rumgeschubse der Wellen wurde gut vom Autopiloten korrigiert.

Unwissend was mich auf der Route von Schiffsverkehr erwarten würde, stellte ich mir meinen Timer auf 20 Minuten. Ein Handelsschiff oder Kreuzfahrtschiff fährt mit maximal so um die 15 Knoten Geschwindigkeit, Die ADESSO war mit 5,5-6 Knoten unterwegs. Bei entgegenkommendem Verkehr nähern sich die Boote also mit etwas mehr als 20 Knoten pro Stunde.

Die Berufsschifffahrt ist kein Problem, die haben eine AIS Pflicht (das sind dann diese Symbole auf dem Kartenplotter). Fischer sind auch Berufsschiffe, müssen auch ein AIS mitführen, müssen dies aber nicht zwingend eingeschaltet haben… wer zum Teufel denkt sich so einen Quatsch aus. Die Kravatten-Heinis in Brüssel oder sonst wo leben doch nur noch in ihrer korrupten Welt und werden von der jeweiligen Lobby ferngesteuert. 

Egal, dafür habe ich das Radargerät, welches auch diese Geisterschiffe enttarnt. Die Dämmerintervalle von 20 Minuten geben mir ausreichend Zeit zum Handeln, sollte mal was in die Quere kommen. Was mir derweil mehr Sorgen bereitete sind andere Segelboote. Die sind schwer oder oft gar nicht auf dem Radar ausfindig zu machen. GFK ist kein guter Reflektor für die Radarstrahlen und senden dementsprechend kein Signal, oder nur ein sehr schwaches, zurück.

Daraus ergibt sich folgende Situation:

Ich leg mich im Salon auf die Couch und stelle den Timer auf 20 Minuten. Versuche dann natürlich auch während dieser 20 Minuten in den Schlaf zu kommen. Die ADESSO fährt während dieser Zeit blind und stur seinen festgelegten Kurs per Autopilot. Nach besagten 20 Minuten piepst mein Wecker. Halb im Dussel stehe ich auf. Das aufstehen muss man sich so vorstellen als würdet Ihr morgens im Dunkeln aus dem Bett aufstehen und jemand zieht an dem Teppich auf dem Ihr steht. Die ADESSO bockt nämlich noch immer auf seinem Amwindkurs auf und ab und zugleich nach links und rechts und so immer ungefähr 1,5 Meter rauf und runter. Unter diesen Bedingungen versuche ich also im Halbschlaf aufzustehen. Taumelnd suche ich nach einem Halt, den ich all zu oft schmerzlich finde, nachdem ich irgendwo dagegengeknallt bin. Dann bewege ich mich zum Kartenplotter und muss Sekunden nach dem Aufstehen die Situation der sich nähernden Feindschiffe einschätzen. Innerlich sortieren und in „Gut“ oder „Böse“ einstufen. Ist einer „Böse“ eingestuft und hat AIS, dann kann ich dessen Geschwindigkeit abrufen und mir zusammenreimen wann wir zusammentreffen würden und entscheiden ob ich noch Zeit habe für eine weiter runde Dämmerschlaf, oder ich hinaus auf den Steuerstand muss um die Situation im Auge zu behalten und gegebenfalls die notwendigen Schritte gegen eine Kollision einzuleiten. Dann beobachte ich das Radar genau und versuche jeden kleinen roten Strich (so werden reflektierende Gegenstände dargestellt) ausfindig zu machen. Zu guter Letzt noch einen genauen Rundumblick um die Lichter der Boote welche ich in Realität sehe mit den Signalen vom Plotter oder AIS abzugleichen. Oft kommt es vor, dass dann besagte Segelboot ohne Radarreflektor an ihren Positionslichter zu erkennen sind. 

Dieses Ritual spielt sich in der Nacht alle 20 Minuten ab. Bei dieser Tour 3 Nächte lang. 

Stell dir einfach mal vor du wärst auf dem Rummelplatz auf einem Fahrgeschäft festgebunden und würdest 3 Tage und Nächte ununterbrochen in alle Richtungen geschubst. 

So ungefähr fühlt sich dieser Kurs an.

Aber irgendwie mag ich diese Herausforderung. Das Gefühl alleine auf mich gestellt zu sein. Du bist alleine auf dem Meer, kein Internet, kein Handy, jeder Fehltritt könnte dein Letzter sein.

Das Gefühl zu Leben um zu Überleben. Du alleine bist verantwortlich für all dein Handeln. Du alleine triffst die Entscheidung und musst alleine mit allen Konsequenzen deiner Entscheidung fertig werden. Eines der letzten grossen Abenteuer in meinen Augen.

Deshalb beklage ich mich nicht, ich bin immer ein klein bisschen stolz auf mich, diese Abenteuer auf mich zu nehmen. Oft (eigentlich immer) entgegnen mir andere Segler mit hohem Respekt vor diesen kleinen Leistungen. 

Dabei erzähle ich nicht immer alles was ich erlebe, denn sonst lässt mich meine besorgte Frau nicht mehr aus den Augen…!

Irgendwas ist ja immer. Diesmal hatte sich eine Reffleine am hinterem Baum verklemmt. Selbstverschuldet, wie sich später herausstellte. Ich hatte einfach beim Verkleinern der Segelfläche die Leine nicht komplett nachgezogen, welche dann solange umher schwingte bis sie sich in einem kleinen Schlitz verhackte. Irgendwann habe ich natürlich bemerkt, dass die Leine nicht ganz durchgesetzt war und machte dies nachträglich, wobei ich Sie damit komplett in den Schlitz zog und ganz blockierte.

Da hilft dann auch kein gutes Zureden mehr…, man ist, wie geschrieben, selbst und zu 100% für sein Handeln verantwortlich. Also Decksbeleuchtung eingeschaltet (es war natürlich mitten in der Nacht) Schwimmweste angezogen (ich nenne das Ding bewust nicht Rettungsweste, denn Retten würde Sie mich nicht), in die Sicherungsleine eingehackt und kriechend über das salzige Dach robben bis zum hinteren Baum. Dort aufstehen und versuchen sich auf den Beinen zu halten. Auch wenn der Baum fest nach unten durchgesetzt ist, bewegt sich dieser trotzdem immer noch etwas in den Wellen. Also stehe ich mitten in der Nacht, bei 18 Knoten Wind, Wellen schräg von vorne auf dem Dach von meiner bockenden ADESSO und halte mich an einem umher schwingendem Baum fest. 

Du erinnerst dich an den Vergleich mit dem Rummelplatz…

In dieser durchaus unbequemen Position, welche zugegebenermaßen nicht ganz ungefährlich ist, versucht man dann die aus eigener Blödheit festsitzende Leine wieder zu befreien.

Nach der ganzen Aktion ist man dann so voll Adrenalin, dass man nicht mehr schlafen kann. Legt sich aber trotzdem hin um runter zu kommen. Nach 20 Minuten geht dann wieder alles von vorne los…

Als dann nach 3 Nächten endlich das Ziel in Sichtweite war, hatte ich ein ganz anderes Problem. Ich hatte den Mistral im Nacken und musste einen geschützten Ankerplatz finden. Die Buchten, welche vor dem Mistral einigermassen geschützt waren, lagen allesamt in einem Naturschutzgebiet der Kategorie „A“ oder „B“. Bedeutet: ankern streng verboten in „A“. Sogar das anfahren unter Motor ist eigentlich verboten, aber wird geduldet. In diesen Buchten sollen laut Revierführer Bojen für Segelboot ausliegen. Nur Segelboot, denn Motorfahrt ist ja verboten. Jetzt hatte ich ein grosses Dilemma. Aus Erfahrung weiss ich, dass die Bojen oft über den Winter komplett entfernt werden. Und aus dem Revierführer geht hervor, dass ganzjährig Ranger dort stationiert sind. Das bedeutet für mich, dass ich dort nicht ungestraft den Anker auf den Meeresboden schmeissen kann. Fahre ich besagte Buchten aber an und muss dann feststellen, dass keine Bojen ausliegen, dann wird mich der Mistral mit voller Wucht treffen. Denn dann würde ich bis tief in die Nacht unterwegs sein bis zur nächsten geschützten Stelle.

Über eine Stunde haderte ich mit mir herum… was tun.

Schlussendlich entschied ich mich dazu dieses Naturschutzgebiet nicht anzufahren und war mir zugleich bewusst, dass weitere harte Stunden auf mich zukommen würden. Denn der Mistral war im Anmarsch. Die Strasse von Bonifacio ist berüchtigt und gehört zu einer der gefährlichsten Passagen im Mittelmeer. Unzählige Schiffswracks säumen den Meeresboden und hunderte Menschen haben hier im Sturm schon Ihr Leben gelassen. 

Ich startete also zusätzlich zum Segel einen Motor um so schnell wie irgendwie möglich zur Strasse von Bonifacio zu gelangen, denn nicht nur der Mistral sass mir im Nacken, sondern auch die Zeit. Ich rechnete und rechnete, aber bin immer zum selben Ergebnis gekommen: vor 22:00 werde ich meinen Ankerplatz nicht erreichen. Das bedeutet in stockdunkler, mondlosen Nacht, bei einsetzendem Starkwind in eine der gefährlichsten Passagen im Mittelmeer einbiegen und um die Lavezzi-Inseln zirkeln bis zur geschützten Bucht.

Und genau so ist es auch gekommen…

Das Grosssegel hatte ich sicherheitshalber schon komplet weggepackt bevor der Wind auffrischte… weise Entscheidung. Denn kurz danach ging es los, die Dämmerung setzte ein… noch 15 Meilen bis zum Ziel. Ich wurde unruhig und es wurde mir immer mehr bewusst was mir bevorstand. Der Mistral ist angekommen, schnell, sehr schnell erreichten er eine Geschwindigkeit von 25-30 Knoten. Rückenwind…, gut zu handhaben. Aber ich musste ja noch um 90° abbiegen!

Es wurde immer dunkler und der Wind in der engen Passage wurde immer mehr beschleunigt. Ich drehte die Instrumentenbeleuchtung immer weiter runter, um so wenig wie möglich geblendet zu werden. Derweil war die Sonne hinterm Horizont verschwunden. Es würde sich nur noch um Minuten handeln bis die Dunkelheit über mich hereinbricht. Jetzt war keine Zeit mehr zum denken, sondern zum Handel. Alles was ich dachte gebrauchen zu können lag in Reichweite. Es wurde mir kalt, aber an die Jacke hatte ich nicht gedacht. In Zwischenzeit ist es stockfinster und ich versuchte die vielen blinkenden Warnlichter auf den Inseln, Felsen und Bojen mit der Seekarte in Einklang zu bringen. Ich hatte jetzt keine Wahl mehr, nichts vor meinem Bug ausser schwarze Nacht, nichts mehr war mit dem Auge zu erkennen. Ich musste zu 100% auf die Navigationselektronik der ADESSO vertrauen. Ich dachte an die vielen Opfer in dieser Passage, bei einem einzigen Unglück kamen über 600 Menschen hier ums Leben. Kurz lief mir der Schauer den Rücken runter. Jetzt keine solchen Gedanken…, bleib konzentriert. Eine Gefahrenstelle nach der anderen fuhr ich ab. Der Mistral wurde böiger, 35+ Knoten…, die Wellen wurden zunehmend ruppiger. Dann wurde es richtig wild. Ich war nach links um 90° abgebogen und wurde dem Wind schlagartig auf der vollen Breite von ADESSO ausgesetzt. Vom Vorsegel war nur noch ein Hauch ausgerollt, beide Motoren liefen zur Sicherheit mit, um im Notfall gegensteuern zu können. Die Geräuschkulisse war ohrenbetäubend. Mit über 8 Knoten, alleine durchs kleine Vorsegel, preschte ADESSO durch die finstere Nacht. Zwischen den Inseln wurde der Wind noch zusätzlich beschleunigt und die Wellen wurden noch mehr in einen Trichter gequetscht. Noch 6 Meilen bis zum Ziel

Die Strasse von Bonifacio habe ich schon 8x befahren…, immer bei normalen Bedingungen für diesen Abschnitt. Aber noch nie in dunkelster Nacht, noch nie bei Sturmstärke…

Ab und an kam ich in den Genuss von der Abdeckung der grösseren Felsen… Zeit zum durchatmen… Minuten die einem gut getan haben. 

Eine letzte Hürde noch. Ich musste die letzen Meilen gegen den Wind und Wellen fahren um so nahe wie möglich an die Steilküste zu kommen. Dort erwartete ich mir den grössten Schutz. Doch auf dem Weg dahin gab es einen weiteren Gegenspieler. Laut Revierführer wären hier Bojen ausgelegt worden. Aber nirgends fand ich genaue Positionsdaten. Wenn ich so eine Boje erwische, und das Pech habe, dass deren Leine sich um die Schraube und Ruder legt, dann habe ich verloren, Manövrierunfähig würde ich dann vom Mistral zurück zu den Riffen getrieben und ADESSO wäre Geschichte.

Ich reduzierte die Geschwindigkeit, welche sowieso bei 30 Knoten Gegenwind nicht hoch war noch weiter und positionierte mich mit der Taschenlampe auf das Vordeck. Immer wieder eilte ich zurück zum Steuerstand und überprüfte die Position und den Kurs. Doch auf den Autopiloten war Verlass. Störrisch folgte er seiner vorgegeben Rute. Der Wind wurde weniger…, ich musste der Steilküste schon recht nahe sein. Also wieder zurück zum Steuerstand. Tiefenmesser: O.K.  Kurs O.K. Ich konnte den Anker nicht im Vorfeld vorbereiten, bei dem Seitenwind wäre mir die Ankerlappe mit Wucht zurück auf den Kopf geknallt. Deshalb musste ich jetzt etwas hetzen, aber auf keinen Fall einen Fehler machen. Angespannt aber konzentriert löse ich den Anker aus seiner Verriegelung… zurück zum Steuerstand. 5 Meter Tiefe zeigt mir das Gerät. Das ist eine gute Tiefe dachte ich und stoppte das Boot auf, hechtete nach vorne und liess 40 Meter Kette in die dunkele See hinab.

Routinemässig ziehe ich den Anker ohne jeglichen Ruck in den sandigen Grund… hält.

Ich bin angekommen. Ich reisse die Arme hoch und halte beide Stinkefinger in den Wind. Meine Art mich für diese Bedingungen bei den Götter zu bedanken.

Ich klarierte noch das Deck und ging erstmal duschen. Dann schickte ich meiner lieben Frau per Satellit eine Nachricht, da ich so nahe der Steilküste keinen Handy empfang hatte.

Ein kühles Bier und eine Tüte Chips rundeten diesen rundum harmonischen und gelungen Törn ab.

Ankommen ist das Schönste am Segeln.

Guy

4 Kommentare

  1. Hey Guy,
    super spannend und kurzweilig geschrieben. Auch Deine Gedankengänge finde ich sehr interessant. Im Gedanken bin ich jetzt schon an Bord.
    Bleibt Gesund.
    Peter
    PS: das mit den Einsiedlerkrebs kann ich voll nachvollziehen, da bin ich ganz bei Dir.

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  2. Hallo Guy, kannst echt stolz sein auf diese Leistung! Der Bericht liest sich wie ein Thriller, so lebendig und spannend geschrieben! Danke dafür und weiterhin gute Reise
    Monika

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  3. Liest sech wie een Krimi an trotzdem hues de wahrscheinech eng liecht mat der Ratsch.🤣soss giffs de daat net sou machen.
    Hun greissten Respekt!👍👍
    Ee Gleck dass den klenger Scheisser net mat woar ,obwuel an dem Stress do hätt heen vleit ganz seier an sein Pelzi gemaat.🤭

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  4. Wow Guy, ich konnte mein Handy gar nicht zur Seite legen, bis du sicher vor Anker lagst 🤩 ganz spannender Bericht, toll geschrieben, lieben Dank und herzliche Grüße
    Katja

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